Moderner Black Metal
- 6 Minuten - 1207 WörterSeit gut über fünfundzwanzig Jahren (also historisch seit etwa den Anfängen der sog. zweiten Welle ab etwa 1992-1993) höre ich – mit mehr oder weniger großen Unterbrechungen – diverse Black-Metal-Bands. Angefangen mit den norwegischen Burzum (die politischen Wirrungen des einzigen Mitglieds einmal beiseite gelassen; was hier für mich immer gezählt hat, ist eine immanente Melancholie und Naturverbundenheit), über die technisch ansüpruchsvolleren Emperor, Mayhem, bis zu avantgardistischen Ved Buens Ende war es oft unwichtig, wie die Aufnahmen klangen – es wurden teilweise besonders LoFi (lies: schlecht) klingenden Alben als besonders kvltig beworben, wichtig war die besondere Atmosphäre, die den Hörer ergriff. Was oft durch repetitive und monotone Songstrukturen erreicht wurde: Strophe-Refrain-Strophe war – und ist – oft nicht vorhanden bzw. verpönt.
Das Schema, die „gewöhnlichen“ Songstrukturen nicht zu befolgen und aufzubrechen ist nicht nur für den titelgebenden Black-Metal typisch, sondern auch für verwandte Genres: Post-Metal mit seinen epischen Songs, die sich oft zu einem Crescendo nach 10 Minuten steigern, auch Progressive-Rock/Metal spielt mit dem Aufbau der Spannung und kümmert sich nicht um typische Elemente wie Refrain. Nun, bei den letztgenannten Genres wird aber auf die Aufnahme-/Produktionsqualität geachtet, nicht selten mit erheblichem Aufwand. Und diese selektive, klare und druckvolle Soundqualität kann sehr gut die Atmosphäre des Songs transportieren: es muss nicht wie in einem feuchten Keller mit Schlagzeug aus nassem Karton aufgenommen klingen, um beim Zuhörer Gänsehaut zu erzeugen.
Auch das Instrumentarium muss keineswegs symphonisch-überladen (mit Keyboards und Orchester-/Samples) sein: eine oder zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Gesang (Keifen/Growling/Kreischen) reichen bei guter Komposition völlig aus. Da ich ein leichtes Faible für das Schlagzeug habe (ohne irgendwie musikalisch zu sein), gefällt mir besonders, wenn der Drummer intelligent sein Instrument einsetzt. Klar: man kann auch ein 40-Minuten-Album mit lauter Blast-Beats einspielen, das kann OK sein, aber meist ist es auf Dauer ermüdend – für den Musiker ohnehin, aber ich bleibe hier auf der Seite es „Konsumenten“, also Zuhörers.
Es hat sich also bei einem Streifzug durch Youtube-Videos (ich glaube im Zusammenhang mit Live-Videos von Батюшка – nach dem „Schisma“; dazu u.U. separater Post) ergeben, dass ich auf ein Drum-Cam-Video von der polnischen Band mgła gestoßen bin – und fasziniert das etwa 7-minütige Stück aufgesogen habe (es dürfte „Exercises in futility II“ gewesen sein). Dann habe ich mir noch ein-zwei Live-Videos angeschaut und dann stand fest: das sollte ich mir genauer anhören.
Die beiden letzten Alben (in digitaler Form, bandcamp sei Dank, quasi sofort verfürgbar) sind im zweiten Durchlauf und es gefällt mir immer mehr. Zugegeben: ich betrachte das als eine Phase, in der ich diese und ein paar verwandte Alben im Dauerlauf mir anhören werde, um mich dann wieder etwas anderer Musik zu widmen, aber der Eindruck wird bleiben. Zumal ich mir die Zeit genommen habe, die Texte durchzulesen und – es ist nicht oft so – ich stelle fest, dass diese wirklich Tiefgang haben. Allerdings muss ich etwas davor warnen, zu sehr darin einzutauchen, denn der depressive und zuweilen mistanthropische Grundton kann einen – verstärkt natürlich durch die Musik – sehr herunterziehen. Aber nachdenken kann man sehr wohl über die Inhalte. Und sich etwas mit (griechischer) Mythologie auseinander setzen, denn es wird oft Bezug darauf genommen.
Musikalisch ist da vermeintlich der Unterschied nicht groß zu den klassischen Werken der weiter oben genannten Bands – und ich bin weit davon entfernt, ein Experte oder sehr in diesem Genre bewandert zu sein – dennoch ist eine große Dynamik, Energie (ob positiv oder negativ, das ist von der Grundstimmung des Einzelnen oder aber auch vom Grad der Beschäftigung mit den lyrischen Themen abhängig – s.o.) und Atmosphäre zu spüren. Es ist bestimmt keine „Hintergrundmusik“, sie verdient es, dass man sich darauf konzentriert, sich darauf einlässt – hier muss wieder für „ungeübte“ etwas gewarnt werden. Wenn man sich dafür etwas öffnet und sich treiben lässt, dann wird man mit angesprochenem intelligenten Drumming belohnt, was keineswegs bedeutet, dauernd mit Höchstgeschwindigkeit einzudreschen, sondern durchaus Akzente zu setzen, und – ja auch das ist in diesem Genre möglich – Raum für die Saiteninstrumente und den Gesang zu lassen. Die Gitarrenriffs und -melodien sind oft dissonant, die Songs hören sich verstörend an, alles ist aber zu einem Gesamten konstruiert, wirkt aber trotzdem harmonich und nicht künstlich aufgesetzt. Die künstlerisch erwünschte Einheit von Musik, Text, Darbietung und Cover-Artwork ist hier auf höchstem Niveau gelungen.
Durch den doch recht komplexen Aufbau wirken die Songs kürzer als sie sind (im Mittel etwa 7 Minuten, mit Abweichungen von etwa 4:40 bis knapp über 9 Minuten). Sie sind aber niemals langweilig, auch wenn die Riffs repetitiv und monoton klingen mögen.
Das 2015er Album „Excercises in futility“ endet sehr abrupt, die Stille ist aber trügerisch, es brodelt weiter, das Gehörte will „verdaut werden“.
Hier noch der Link zur Bandcamp-Page von mgła, bzw. des Labels (No Solace): https://no-solace.bandcamp.com/
Und zum Schluss ein Zitat eines Kommantators auf der facebook-Page der Band:
What a sweet collection of happy songs!
[update 2020-06-19]
Kleine Ergänzung: es gibt freilich Unmengen an gleich guten oder besseren (subjektiv!) Bands, die Black Metal-Typisches mit Eigener Vision der Musik, der Atmosphäre, der Texte vermischen und etwas Originelles kreieren: es ist die Definition der Kreativität. Dennoch bleibe ich bei diesem Post dabei, mich auf die Werke von mgła zu konzentrieren, bzw. in diesem Update auf das doch ungleiche aber dennoch unverkennbar ähnliche von der Band Kriegsmaschine. Der martialische und mit für manche unverdaulicher Konnotation versehene Name ist insofern passend, als die Musik jegliche Freude vernichtet und die Texte vor Nihilismus triefen – mehr noch als bei den verwandten mgła.
Á prospos verwandt: in beiden Bands wirken M. (g/b/v) und Darkside (dr), und mehr noch als bei mgła ist das Schlagzeugspiel hier total abgefahren. Kriegsmaschine lebt vom Rituellem, vom Rhythmischen, Dissonantem. Es ist aber kein Kopfschmerz verursachender Lärm ohne Prinzip und und nicht überladen mit gebrochenen Strukturen oder gar deren komplettem Mangel. Die Drums sind treibend, der Rhythmus saugt den Hörer förmlich ein, in einen Strudel ohne Entkommen (OK, der Stopp-Knopf erlöst einen, aber will man das?!). Und die vielen kleinen „Glöckchen“ (Becken, Crashes, Rides und wie sie alle heißen) sind hier weit mehr als schmückendes Beiwerk. Unbedingt ein Drum-Cam-Video von mgła angucken! (Kriegsmaschine ist ein reines Studio-Projekt).
Im ersten Stück vom 2018er Album „Apocalypticists“, „Residual blight“, erinnert der „Groove“ gar an andere Genres des Modernen Rock/Metal. Aber: ich will nicht sagen, dass dies Fans von, sagen wir Sepultura gefallen würde; dafür ist die Grundstimmung definitif zu düster und das Growling (denn die Stimmlage ist tiefer als in vielen Black Metal-Bands) mit Textzeilen wie
I alone have known all shades of the horror. I am the pit without sun, where blind beasts dwell. I am the revenant at the very bottom of the source. Never to grow weary. Running on doubt. Dead thoughts, dead movements, dead ideals, dead desires.
DE: Ich allein habe alle Schattierungen des Grauens gekannt. Ich bin die Grube ohne Sonne, wo blinde Bestien wohnen. Ich bin der Wiedergänger ganz unten in der Quelle. Ich werde niemals müde werden. Vom Zweifel getrieben. Tote Gedanken, tote Bewegungen, tote Ideale, tote Begierden.
passt zum grau-schwarzen Cover-Artwork. Und was noch mit Stimmen hier ver(u)anstaltet wird… Sprachsamples ab dem Ende von „The other death“ und im Verlauf von „On the essence of transformation“ sollte man sich nicht allein im Dunkeln anhören (oder eben doch? *schauder*).
Anhören!: https://ksmpl.bandcamp.com