Affinity, die 2te
- 9 Minuten - 1735 WörterWie vor einiger Zeit in einem ersten Post geschrieben, wurde im November 2022 die Version 2 der Affinity-Programme Designer, Photo und Publisher veröffentlicht.
Nach knapp zwei Jahren versuche ich, meine Erfahrungen hier zusammen zu fassen. Je nach Verfügbarkeit von Updateversionen werden einige Textpassagen erweitert oder überarbeitet.
Universal-Lizenz, kostenlos für Bildung und Non-Profit
Mit der Version 2 gibt es nun die Möglichkeit, eine Universal-Lizenz zu erwerben, mit der die Programme auf allen derzeit unterstützten Plattformen (Microsoft Windows, Apple macOS und Apple iOS auf dem iPad) installiert werden können, auch gleichzeitig. Mit der Anfang September 2024 veröffentlichten Version 2.5.5 ist die Nutzung zudem für Bildungseinrichtungen und nicht-kommerzielle Organisationen und Zwecke kostenlos. Außerdem wurde der Testzeitraum von ehemals 7 Tagen auf 180 Tage (= ein halbes Jahr) deutlich verlängert.
Die letzten beiden Entscheidungen wurden nach der im April 2024 erfolgten Übernahme des Herstellers Serif Ltd. durch den australischen Online-Grafikdienstleister Canva getroffen. Die Übernahme selbst hat für viel Wirbel in den Produktforen gesorgt, es wurde spekuliert, dass auf das Abo-Preismodell (wie bei den – nur in der Basisversion kostenlosen – Canva-Diensten) umgestellt würde, was jedoch von dem Hersteller stets verneint wurde.
Es wäre möglich, dass der Mutterkonzern die Affinity-Programme in seinen Online-Dienst integriert (es gibt bereits Canva-Clients) oder aber dass aus den Affinity-Programmen auf Teile der Canva-Dienste zugegriffen werden kann (etwa Assets wie Bilder, KI-Generator etc.) oder Online-Kollaboration ermöglicht wird. Letzteres ist angesichts der Empfehlung des Herstellern, Dokumente ausschließlich lokal zu speichern aber eher unwahrscheinlich.
Hoffnung auf schnellere/bessere Programmentwicklung unter Canva
Es wurde auch gehofft, dass Programmentwicklung eine dynamischere würde, da mehr Ressourcen zur Verfügung stünden. Das ist allerdings bis dato (September 2024) nicht zu beobachten: es wurden zwar etliche neuen Versionen veröffentlicht, auch mit lange gewünschten Funktionen, wie dem QR-Code-Generator, Unterstützung für variable Schriftarten, passwortgeschützte und getaggte PDFs und früher seit Version 2: Buchfunktion mit Inhaltsverzeichnis, Fuß-, Endnoten (Publisher) und viele mehr, dennoch sind einige dieser Funktionen nur eingeschränkt nutzbar (z.B. kann man keine erst seit dem Update auf die Version 2.6.0 (s. unten) QR-Codes dynamisch aus einer Datenquelle mit der Datenzusammenführungsfunktion erzeugen) oder es bleiben Probleme bei der Ausgabe, wie bei PDF-X-Dateien, die öfter als nicht falsche Farbräume oder gar die befürchteten gerasterten statt vektorbasierten PDFs erzeugt.
Einige Updates haben zu massiven Problemen geführt: so wollten die Programme unter Windows nicht starten, wenn eine bestimmte variable Schriftart installiert und aktiv war.
Immer noch weitgehend ungelöst beibt das Problem mit defekten Dateien, die auf Netzlaufwerken oder externen Festplatten gespeichert wurden. Das Affinity-Dateiformat sei für Schnelligkeit entwickelt worden, jedoch wäre Robustheit und Unempfindlichkeit gegenüber Speicherort in meinen Augen wichtiger. Zugegeben: mir ist noch kein Dokument (sei es bei zahlreichen Tests oder bei eigenen Projekten) kaputt gegangen, obwohl ich – in einer Windows 10-VM – auf, technisch gesehen, Netzlaufwerken speichere.
Es wurden zwar Maßnahmen ergriffen, das teilweise zu ermöglichen – es werden z.B. ~lock~:com.dropbox.ignored
-Dateien erzeugt, die gewähleisten sollen, dass verlinkte Dateien auf evtl. Dropbox-synchronisierten Ordnern ihre Pfade erhalten – aber die Unsicherheit bei wichtigen Projektdateien bleibt. Es wurde bereits vorgeschlagen, eine Abfrage zu implementieren, ob ein Layout auf einem externen/Netzwerkvolume gespeichert wird, die wenigstens eine Warnung anzeigt – leider ohne eine eindeutige Zu- bzw. Absage seitens der Entwickler.
Die erwähnten ~lock~
-Dateien werden bei mir mit jedem Speichervorgang auf einem Netzwerkvolume (Shared Folder vom Host-Rechner) zusätzlich zu den „normalen“ ~lock~
-Dateien erzeugt, obwohl ich DropBox gar nicht nutze.
Das Affinity-Forum ist in seinem Feedback-Bereich voll mit Funktionswünschen, die teilweise seit Jahren auf ihre Umsetzung warten. Die vor ca. 1,5 Jahren (im März 2023) angekündigte Umsetzung des lange geforderten Epub-Exports ist immer noch nicht erschienen. Ebenfalls oft gewünscht wird die Unterstützung für RTL-Schriften (Arabisch, Hebräisch,…) sowie weiteren asiatischen Schriftsystemen (Hindi, Tamil…), das Erstellen von PDF-Formularen, spaltenüberspannende Überschriften, eine API für Skripte, ein interner Vektorisierer, Import von OpenDocument-Dateien, „echte“ Vektorpinsel (in Designer gibt es ein paar wenige, jedoch kann man aus beleibigen Vektorobjekten keine eigenen erstellen), der Export als .idml1 (z.B. für Übersetzungssoftware) und viele andere.
Zusätzlichen Frust erzeugen die Fehler, die sich teilweise nach ihrer Behebung in neuere Updates wieder einschleichen, oder aber solche, die seit langer Zeit gemeldet aber nie behoben wurden.
Software für Profis?
Es gibt einige Bereiche, die für eine professionelle (Grafik-)Software (also verwendet für kommerzielle/gewinnbringende Projekte) essenziell sind:
- Stabilität
- Produktivität
- Produktionssicherheit
Zum Punkt 1:
Insbesondere bezüglich der vorkommenden Dokumentenkorruption ist Affinity hier deutlich im Nachteil. Speicherung auf Netzwerkvolumes ist Standard im professionellen Bereich, die Affinity-Entwickler warnen jedoch davor und empfehlen das Speichern auf lokalen Laufwerken.
Gelegentliche Abstürze sind zwar nicht so gefährlich (und sie passieren auch bei den „großen“ Adobe-Produkten), dennoch sollte die Behebung von solchen Problemen eine höhere Priorität bei den Entwicklern erhalten. Es ist eine Zwickmühle: soll die langsame Entwicklung neuer Funktionern zugunsten von gründlicherer Fehlerbehebung aufgegeben werden? Die erhoffte Beschleunigung und Zuteilung größerer Ressourcen nach der Canva-Übernahme ist (noch) nicht zu spüren.
Zum Punkt 2:
Die lange gewünschte Fähigkeit, die Programme mit Skripten/Plug-Ins zu erweitern würde wohl einige Produktivitätssteigerungen mit sich bringen. Diese wurde mehrmals angekündigt, aber es ist völlig unbekannt, wann dies umgesetzt wird, und wenn, ob es erst in einer zukünftigen Version 3 geschehen wird.
Zum Punkt 3:
- Es ist nach wie vor schwierig und nicht intuitiv, Layouts mit platzierten PDF-Daten korrekt zu exportieren. Die „Passthrough“-Methode ist mit Fallstricken verbunden, die einen erfolgreichen Export als PDF-X/4 selten möglich machen:
- es dürfen keine Effekte und Transparenzen angewendet sein
- die PDF-Version des importierten bzw. platzierten Dokuments darf nicht höher als 1.6 sein (=PDF-X/4-Version)
- bei der Passthrough-Methode werden die Daten 1:1 durchgereicht, ohne die Möglichkeit, die Komprimierung und Farben zu beeinflussen
- Fehlende Überdruckenvorschau, Separationsvorschau und die Möglichkeit, einen Soft-Proof inkl. Papierweißsimulation für das gesamte Dokument (in Publisher) anzuzeigen. Letzteres ist nur als Live-Filter (Seiten- bzw- Ebenenbasiert und ohne Papierweißsimulation) möglich. Hier ist man entweder auf das Industriestandardprodukt Adobe Acrobat Pro oder auf Nischenlösungen wie PACKZVIEW (wie unter Helferlein beschrieben) angewiesen
- Zudem ist die Zuweisung von Farbprofilen (d.h. Farbwerte verändern sich nicht) nicht standardmäßig aktiv, sondern die Umwandlung, was Farbveränderungen verursachen kann (u.A. kann rein schwarzer Text vierfarbig werden, was u.U. umfangreiche Anpassungen erforderlich macht).
Man muss also sehr aufpassen, wenn man seine Layouts professionell drucken lassen möchte.
Fazit
Nach nochmaligem Durchlesen fällt mir auf, dass die Kritik an dem aktuellen Stand der Programmsuite deutlich überwiegt. Es ist vielleicht etwas ungerecht, denn man kann durchaus sagen, dass mit den Programmen produktiv und professionell gearbeitet werden kann. Wie bereits im ersten Post erwähnt, wurden bei meinem Arbeitgeber bereits einige Aufträge – teilweise recht anspruchsvoll – von PDFs produziert, die in Affinity Publisher erzeugt wurden. Ohne Probleme.
Eines der Hauptargumente für Affinity wird der Preis genannt (aktuell €179.99 für die Universal-Lizenz oder je €74.99 für die Einzelprogramme für macOS/Windows bzw. €19.99 fürs iPad). Und ja, es gibt andere Alternativen zu den Adobe-Produkten, hier einige kurze Beschreibungen mit dem Schwerpunkt Preise:
- QuarkXPress bietet sowohl ein Abonnement (aktuell 279 €/Jahr) als auch eine Permanentlizenz (aktuell 594 €), die jedoch nur ein Jahr „Wartung und Unterstützung“ enthält (sprich: die in diesem Zeitraum veröffentlichten Updates sind enthalten; die Verlängerung dieses Dienstes kostet aktuell 339 €/Jahr). Und es ist eine ausgereifte Software, die seit Jahrzehnten auf dem Markt ist, zum Vergleich, in etwa den Funktionsumfang von Publisher mit einigen Zusatzfunktionen zur (nichtdestruktiven) Bildbearbeitung abbildet und darüber hinaus vielfältige Exportmöglichkeiten bietet, die Publisher teilw. fehlen (wie z.B. .idml-Export), dazu viele XTensions/Plugins usw.
- CorelDRAW mit ihrer Grafiksuite ist ebenfalls noch als Permanentlizenz erhältlich (aktuell 584 €) oder – vergünstigt – im Jahresabo für 275 €/Jahr. Der Funktionsumfang liest sich ähnlich wie die Affinity-Programme plus einer browserbasierten App, die Kollaboration ermöglichen soll, und einer weiteren für das iPad (beide letzgenannten nur im Abo).
- VivaDesigner scheint eine „All-in-one“-Lösung zu sein: Seitenlayout, (Basis-)Bildbearbeitung, Kollaboration (im Web-Browser), KI-Funktionen wie Bildfreisteller und Übersetzungen – für ca. 475 € (Permanentlizenz), mit InDesign-Dokumentimport/-Export (das native, proprietäre Format .indd, nicht nur .idml).
Ist die Affinity-Suite also gleichberechtigt mit den oben genannten – und dem Platzhirsch Adobe Creative Cloud? Jaein. Schon aufgrund des geringeren Funktionsumfangs, der fehlenden Cloud-Anbindung, der nicht mehr so kurzen Marktverfügbarkeit (es sind bei Designer mittlerweile fast zehn, bei Photo neun und Publisher fünf Jahre) führen die Programme ein relatives Nischendasein.
Aus meiner Erfahrung ist die Arbeit recht angenehm, auch bei komplexeren Layouts, der Funktionsumfang – zumal mit den in unregelmäßigen Abständen größeren Updates dazu gekommenen – ist meistens mehr als ausreichend und die im Vergleich zum Platzhirschen weiter reichende nicht-destruktive Arbeitsweise (z.B. Effekte und Einstellungsebenen aus Publisher heraus) kann auch professionell arbeitende Fotografen/Designer befriedigen.
Klar, für manche Arbeiten muss man evtl. ein weiteres, externes Programm bemühen, das ist aber teilweise bei InDesign auch so (z.B. massenweise QR-Codes mittels Datenzusammenführung einbinden ist möglich, aber ohne ein Plug-In wie HPs SmartStreamDesigner ist man viel schneller, wenn die Grafiken in einem weiteren externen Werkzeug (z.B. BarcodeStudio) vorab erstellt werden und als Grafiklink eingebunden werden).
Für den aufgerufenen Preis stimmt hier das Leistungsverhältnis.
Update 2025-01-12
Serif bietet ein öffentliches Beta-Programm für Besitzer der Programmlizenzen an und die Mitglieder des offiziellen Forums tauschen sich über die Neuerungen und bestehende oder neu hinzugekommen Fehler aus. Auch ich habe die Beta-Versionen von den drei Programmen in meiner Windows 10-VM installiert und teste die neuen Funktionen gelegentlich aus.
Affinity Photo 2.6 Beta
Eine große Neuerung sind Funktionen zum Freistellen, die auf maschinellem Lernen basieren, also einer Art künslicher Intelligenz, die mit Hilfe lokal gespeicherter vorberechneten Modelldaten, Objekte freizustellen hilft. Die Ergebnisse reichen an die der neuesten Versionen von Adobe Photoshop nicht heran, jedoch ist mit etwas Nacharbeiten („Refining“) ein gutes Ergebnis selbst bei Haaren o.Ä. Objekten möglich.
Affinity Publisher 2.6 Beta
Es wird möglich sein, mehrseitige Layouts aus Zusammenhängenden Seiten („island layouts“) mit unterschiedlichen Formaten zu erstellen. Also z.B. für einen Falzflyer DIN Lang mit Seitenbreiten von 105 + 105 + 102 mm oder Einklappseiten oder komplette Umschläge von Broschüren/Büchern mit separatem Rücken. Das erleichtert ungemein die Gestaltung, die zwar natürlich auch mit Hilfslinien oder -Rahmen möglich ist aber die Neuerung ermöglicht es z.B. die Breite des Buchrückens nachträglich anzupassen, ohne fast alle Elemente des Layouts anfassen zu müssen.
Außerdem ist es nun möglich, QR-Codes aus externen Daten mit der Datenzusammenführung direkt in Publisher zu erzeugen.
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Das XML-basierte InDesign Markup Language-Dateiformat wird seit der InDesign-Version CS4 (also 6.0 vom November 2008) als Austauschformat verwendet (jede neue Version ist in der Lage das Format zu exportieren, wiederum jede ältere Version seit CS4 kann es – natürlich mit Einschränkunden, die neuere Funktionen betreffen – importieren). Es war dokumentiert (die Dokumentation wurde von den Adobe-Servern entfernt) und so konnten einige Softwarehersteller den Import sowie einige wenige auch den Export in ihre Produkte implementieren. ↩︎